von MEMORIAL Deutschland e.V.

Zur Diskussion über die Wand des Gedenkens in Kommunarka

In den letzten Tagen ist in den sozialen Netzen eine heftige Auseinandersetzung um die Wand des Gedenkens entbrannt, die am 27. Oktober 2018 in Kommunarka bei Moskau eingeweiht worden war. An diesem Ort wurden 1937-1938 die sterblichen Überreste von 6609 Personen beigesetzt, die im Laufe des Großen Terrors erschossen worden waren.

Die Wand des Gedenkens besteht aus etlichen Ständen mit darauf befestigten Tafeln, auf denen die Namen ALLER hier beigesetzten Personen verzeichnet sind, unabhängig von ihrer Biographie, Tätigkeit, Rehabilitierung und weiteren Umständen. Diese Namen wurden aus den Erschießungsakten ermittelt, die im Zentralarchiv des FSB aufbewahrt sind. Das Konzept für die Wand hat der Künstler Petr Pasternak im Jahre 2014 entworfen. Es wurde nach langen Diskussionen angenommen, an denen folgende Gruppen beteiligt waren: die Initiativgruppe von Angehörigen der Erschossenen, die Russische Orthodoxe Kirche, MEMORIAL International, das GULAG-Museum und die Moskauer Kommission zur Wiederherstellung der Rechte rehabilitierter politischer Repressionsopfer. Finanziert wurde das Projekt von der Stiftung „Bewahrung des Gedenkens an die Opfer politischer Verfolgungen“.

Ursache für die heftige Reaktion von Teilen der Öffentlichkeit ist die Tatsache, dss sich unter den 6609 Namen auf der Wand des Gedenkens auch die ranghoher NKVD-Funktionäre befinden, die die Massenrepressionen organisiert oder an ihnen mitgewirkt haben und dann ihrerseits während des Terrors hingerichtet wurden. Darunter sind Genrich Jagoda, Eduard Bersin, Terentij Deribas, Leonid Sakovskij und Lev Mironov. Dies stieß auf harsche Kritik, die so weit ging, dass MEMORIAL und das GULAG-Museum bezichtigt wurden, die „Täter rehabilitieren“ zu wollen. Gemäßigtere Kritiker vertreten die Auffassung, dass man keinesfalls alle Namen in einem einzigen Verzeichnis hätte auflisten dürfen, man hätte zwei separate Listen erstellen müssen – eine für „Opfer“ und eine für „Täter“.

Wir glauben – wir hoffen zumindest -, dass die scharfen Äußerungen in den meisten Fällen ein aufrichtiges Gefühls zum Ausdruck brachten, das damit zusammenhängt, dass die Öffentlichkeit in keiner Weise darauf vorbereitet ist, sich ernsthaft mit der Aufarbeitung der tragischen russichen Geschichte zu befassen. Deshalb hält es der Vorstand von MEMORIAL für notwendig, seine Position in dieser Frage klar zu artikulieren.

Erstens. Ein symbolischer Grabstein an einer Grabstätte von Hingerichteten ist keine Kanonisierung, keine Rehabilitierung und keine Absolution. Er ist keine Bewertung, sondern eine Feststellung: Hier ruhen diese und jene Personen. Jeder hat das Recht auf einen Namen und auf ein Grab, unabhängig davon, ob er ein gerechter Mensch, ein Verbrecher oder ein „gewöhnlicher“ Mensch ist. Die Sowjetmacht wollte auch Tote bekämpfen, sie strich die Namen derer aus dem öffentlichen Gedächtnis, die sie als ihre Feinde ansah. Sollen wir diesem Beispiel folgen?

Zweitens. Die Wand des Gedenkens in Kommunarka ist nicht nur ein Gedenkzeichen für konkrete Personen. In erster Linie ist sie ein Gedenken an das reine Faktum von Massenmorden, die die Staatsmacht verübt hat, an die Zeit der Willkür und Gesetzlosigkeit, die unter anderem auch diejenigen betraf, die den Terror selbst durchgeführt hatten. Es ist die Geschichte, die ihre Überreste mit denen ihrer Opfer vermengt hat, und wir haben nicht das Recht, das zu korrigieren, zu vereinfachen und zu retuschieren. (Zudem sind die Namen der Tschekisten auf dem Denkmal in Kommunarka darüber hinaus eine wichtige anschauliche Lehrstunde für jene, die heute Willkür und Gesetzlosigkeit initiieren und durchführen.)

Drittens, das Wichtigste. Die Toten in „Opfer“ und „Täter“ einzuteilen führt fast zwangsläufig zu Relativierung, Schematismus und Willkür, sobald es um reale menschliche Schicksale geht. In unserer Geschichte sind seit der Opritschnina „Täter“ immer wieder zu „Opfern“ geworden, auch umgekehrt wurden ehemalige Gefangene zu Tätern. Aber es geht nicht einmal so sehr darum.

Sollte man „zwei Listen“ erstellen? Jagoda, Sakovskij und andere sind zweifellos Verbrecher, die für den Tod Zehntausender ihrer Mitbürger verantwortlich sind. Wie aber soll man mit Hunderten von anderen, weniger bekannten NKVD-Mitarbeitern verfahren, die aktiv am Terror beteiligt waren und niedere Ränge in der Tscheka bekleideten? Zudem ist zu bedenken, dass die Terror-Kampagnen der Tscheka-OGPU-NKVD-KGB immer auf eine Initiative der obersten Parteiführung zurückgingen und unter Kontrolle von Parteifunktionären durchgeführt wurden. In welche Liste soll man die Sekretäre der Gebiets-, Regional- und Republik-Komitees der Partei eintragen, die an den Trojka-Sitzungen teilgenommen, die Erschießungslisten unterzeichnet haben und die später selbst in diese Listen gerieten? Soll man schließlich die zahllosen Propagandisten, Journalisten, Publizisten und Aktivisten inner- und außerhalb der Partei, die in der Presse in Pogrom-Artikeln „Volksfeinde“ entlarvten, bis sie selbst verhaftet wurden, oder die Massenkundgebungen organisierten, auf denen die Todesstrafe für die wegen politischer Verbrechen Angeklagten gefordert wurde, zu den „Guten“ oder „Schlechten“ zählen? Und was sagen wir zu denen, die an diesen Kundgebungen teilgenommen haben?

Wir wollen hier keineswegs die Verantwortung für den Terror verwischen, indem wir sie allen gleichermaßen zuteilen. Wir stellen lediglich fest, dass sich aus den Angaben in einem Fragebogen – Beruf, Dienststellung, Parteimitgliedschaft und ähnlichem – kein einheitliches formales Kriterium ergeben kann, das dem sittlichen Empfinden genügt und das „automatisch“ bestimmen würde, wie weit jemand in Verbrechen involviert ist. Das Nürnberger Tribunal, das eine Reihe von Organisationen und Behörden des nationalsozialistischen Deutschland für verbrecherisch erklärte, hat besonders hervorgehoben, dass damit nicht zwangsläufig alle Mitglieder dieser Organisationen und Behörden als Verbrecher einstuft werden. Zugleich hat es viele Personen individuell zur Verantwortung gezogen, die ihnen angehörten, und ebenso Personen, bei denen dies nicht der Fall war.

In keinem Fall kann das Vorliegen einer juristischen Rehabilitierung als Kriterium dienen (gerade dies möchte die heutige Regierung häufig als Bedingung für das Gedenken durchsetzen). In welche Liste sollte man dann den bereits in den 1950er Jahren rehabilitierten Robert Eiche eintragen, den ersten Sekretär des Partei-Regionalkomitees für Westsibirien, der das so genannte „ROVS“-Verfahren (Russische All-Militärische Union – 1924 in der Emigration gegründet, A. d. Ü.) initiiert hat, in dessen Verlauf Zehntausende erschossen wurden? Von 30 hingerichteten Gebiets- Parteisekretären, die in Kommunarka beigesetzt sind, gehörten 16 besonderen NKVD-Trojkas an. Sie sind alle rehabilitiert. Die Mitwirkung an der Kollektivierung, auch an den OPGU-Trojkas, die die „Entkulakisierung“ betrieben, stand einer Rehabilitierung überhaupt nicht im Wege. Andererseits wurde Personen, die sich am bewaffneten Kampf gegen das verbrecherische Regime beteiligten oder auch nur diese Möglichkeit erwogen, sehr häufig die Rehabilitierung verweigert (im Übrigen hätten diese Personen ihre Bezeichnung als „Opfer“ schwerlich akzeptiert).

Es gibt noch ein technisches, aber nicht unwichtiges Problem: Das Fehlen vollständiger Informationen, die überhaupt erst ein Urteil darüber erlauben, wer von den Toten und in welchem Maße an Terrorkampagnen teilhatte. Da es keinen Zugang zu den Archiven gibt, kennen wir nicht einmal alle Mitglieder der Trojkas der Jahre 1937-38, von den außergerichtlichen Organen früherer Jahre ganz zu schweigen. Zudem wissen wir von 2000 Personen der 6609 in Kommunarka nichts außer ihren Namen und dem Erschießungsdatum. Selbst wenn man dem Vorschlag etwas abgewinnen könnte, mehrere Listen zu erstellen – diese Namen könnten wir in keine einzige Liste aufnehmen.

Abschließend sei festgehalten, dass die Vorwürfe und Anklagen gegen Memorial und das GULAG-Museum bei all ihrer Oberflächlichkeit, Hitzigkeit und naiven Kompromisslosigkeit eine Ursache haben, die zur Kenntnis genommen und respektiert werden muss – die Notwendigkeit, die tragische sowjetische Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Gesellschaft hat bisher keine Kriterien und Mechanismen entwickelt, um konkrete Verbrechen der Sowjetregierung objektiv historisch und rechtlich zu bewerten und für konkrete, darin involvierte Personen das Maß ihrer Schuld zu bestimmen. Natürlich sind Massengräber nicht der geeignetste Ort für Auseinandersetzungen über die persönliche Verantwortlichkeit für Taten eines verbrecherischen Regimes. Dessen ungeachtet hofft der Vorstand der Gesellschaft MEMORIAL, dass die jetzt in Gang gekommene Diskussion, wenn sie denn eine zivilisiertere und fundiertere Form annimmt, den ernstzunehmenden und gehaltvollen Dialog über diese Themen fortsetzen wird.

Der Vorstand der Internationalen Gesellschaft MEMORIAL

13. November 2018

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Heftige Debatten und großer Andrang auf der Konferenz: Tschetschenische Geflüchtete in Europa

Um Minderheiten in der Diaspora zu verstehen, muss man ihre Herkunftskultur verstehen. Der Einführungsvortrag von Dr. Marit Cremer auf der Tagung „Zwischen Ankunft und Abschiebung. Tschetschenische Geflüchtete in Europa“ gab daher einen Einblick in Geschichte und Wertesystem, das Spannungsverhältnis von Gewohnheitsrecht und Scharia und die Gleichzeitigkeit verschiedener Rechtssysteme im heutigen Tschetschenien. In die Diaspora mitgebracht, ergeben sich für tschetschenische Geflüchtete daraus konfliktreiche Folgen für die Bewältigung der neuen Lebensbedingungen in den europäischen Aufnahmeländern. Eine negative Rolle spielt zudem die in den letzten Jahren sich zuungunsten der Geflüchteten veränderte, stark restriktive Asylgesetzgebung in zahlreichen europäischen Ländern, wie Inna Sangadzhieva vom Norwegian Helsinki Committee und Akhmed Gisaev vom Human Rights Analysis Centre in Oslo bemerkten. Die Diaspora sei bei weitem nicht homogen, und insbesondere die in jüngster Zeit Geflüchteten hätten deutlich größere Schwierigkeiten, in der neuen Umgebung zurecht zu kommen, stellte Prof. Aude Merlin von der Université libre de Bruxelles fest. Wie bei anderen Migrantengruppen auch ließe sich zudem eine innere Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach dem Erhalt einer tschetschenischen Identität und der gewollten Teilhabe an der neuen Lebensumgebung feststellen. Erfolgreiche Integration könne selbst im lange Jahre von den Freiheitlichen unter Jörg Haider regierten Kärnten gelingen, stellte der Psychologe Siegfried Stupnig fest, dessen von ihm gegründeter 1. FC Tschetschenien bestens in die österreichische Gesellschaft integrierte Neubürger hervorgebracht habe. In Tschetschenien selbst hingegen nehme das repressive Regime Ramzan Kadyrovs insbesondere der jungen Generation die Luft zum Atmen. Ekaterina Sokirianskaia warnte daher vor einer bevorstehenden Welle des Widerstandes gegen das Regime. Die staatlich verordneten repressiven Maßnahmen zur Radikalismusprävention führten eher zur gegenteiligen Wirkung. Die Diskussionsrunde zur Verfolgung von homosexuellen Tschetschen*innen mit Igor Kochetkov vom Russian LGBT Network, der Berliner Anwältin Barbara Wessel und Konstantin Sherstyuk von Quarteera e.V. rief heftige Reaktionen seitens der anwesenden Berliner Tschetschen*innen hervor. Ebenso emotional wurden die Aufrufe von Svetlana Gannushkina von Memorial Moskau und der Frauenrechtlerin Lipkan Bazaeva aus Grozny aufgenommen, die für das Recht von Tschetschen*innen plädierten, ihre Community mit deren traditionellen Verhaltensregeln verlassen und nach selbstgewählten Regeln leben zu dürfen. Klare Worte fand die Anwältin für Familienrecht, Christina Clemm, die aufräumte mit unter Tschetschen*innen verbreiteten Vorstellungen von einem deutschen Staat, der ihnen bei familiären Konflikten sofort die Kinder wegnähme. Kindeswohlgefährdung sei allerdings ausnahmslos inakzeptabel und würde zur Intervention seitens des Jugendamtes führen. Das Erlernen von Methoden gewaltfreier Erziehung sei daher unumgänglich und Voraussetzung für den Erhalt der Familie.

Aus den zahlreichen positiven Rückmeldungen der über einhundert Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland sowie den anwesenden Journalist*innen ließ sich erkennen, wie groß die Nachfrage nach Wissen über Tschetschenien und seine Geflüchteten ist.

Einen russischsprachigen Beitrag der Deutschen Welle zur Tagung können Sie hier nachhören und nachlesen, die Übersetzung ins Deutsche finden Sie » hier.

Weitere russischsprachige Beiträge:

OstWest TV

RTVi

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„Für unsere und eure Kinder“ Solidaritätsaktionen zur Unterstützung der Gefangenen im Rahmen der Verfahren „Novoe Velitschie“ und „Set“

Am Sonntag, den 28.10.2018 fanden in mehreren Städten Russlands sowie vor der Russischen Botschaft in Helsinki Solidaritätsaktionen für die verhafteten Mitglieder der Gruppierungen „Novoe Velitschie“ und „Set“[Aktivisten der Antifaschistischen Bewegung] statt. Zu den Aktionen hatte das „Eltern-Netz“ der in beiden Verfahren Verhafteten unter der Losung „Für unsere und eure Kinder: Umzug zum Schutz der neuen Generation“ aufgerufen.

Lev Ponomarev, Vorsitzender der Bewegung Für Menschenrechte, sprach für Moskau, wo die Aktion auf der Lubjanka vor dem Gebäude des FSB stattfand, von rund 2000 Teilnehmern. Da die Aktionen in Moskau und in St. Petersburg nicht genehmigt worden waren, hatten die Veranstalter dazu aufgerufen, auf Plakate und Transparente zu verzichten, um niemanden einem unnötigen Risiko auszusetzen.

Im Zuge der Aktionen kam es zu rund 60 Verhaftungen. So wurden in Moskau 18 Personen verhaftet, einige davon wieder auf freien Fuß gesetzt, einige verbrachten die Nacht auf der Polizeiwache. Gegen alle wurde ein Protokoll wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht aufgenommen. In Petersburg wurden 40 Personen festgenommen, unter ihnen ein Journalist des unabhängigen Fernsehsenders Doshd. Ein Großteil verbrachte die Nacht ebenfalls auf der Polizeiwache. Unter den Verhafteten in Petersburg befanden sich auch sieben Minderjährige, fünf von ihnen wurden inzwischen wieder freigelassen. In Rostov am Don wurde ebenfalls ein Aktivist verhaftet und wieder auf freien Fuß gesetzt.

Wir erinnern, dass Memorial die Verhafteten im Verfahren „Novoe Velitschie“ als politische Gefangene betrachtet. Den Festgenommenen der Organisation „Set“ wurden, wie wir bereits berichteten, Waffen untergeschoben, ihre Geständnisse durch massive Folter erpresst.

29. Oktober 2018

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"Rückgabe der Namen" findet statt wie ursprünglich geplant

Nachdem die Moskauer Behörden letzte Woche die ursprüngliche Genehmigung für die jährliche Aktion „Rückgabe der Namen“ zurückgezogen hatten, zeigten sie sich heute kompromissbereit: Die Aktion kann nun doch, wie geplant, am 29. Oktober 2018 von 10 bis 20 Uhr am Solowezki-Stein stattfinden.

Die Ende letzter Woche kurzfristig bei Memorial eingegangene Widerruf der schon erteilten Genehmigung war mit Bauarbeiten begründet worden – tatsächlich ist das Gelände dort seit einigen Tagen teilweise aufgerissen.

Die Vereinbarung mit den Behörden über die Durchführung der Aktion kam heute Nachmittag zustande, nicht zuletzt auf Grund der heftigen öffentlichen Proteste, die die Ablehnung ausgelöst hatte.

22. Oktober 2018

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Aktion "Rückgabe der Namen" am Solowezki-Stein untersagt

Wie jedes Jahr, sollte auch in 2018 am 29. Oktober am Solowezki-Stein auf dem Lubjanka-Platz in Moskau die „Rückgabe der Namen“ stattfinden – die Lesung der Namen von Personen, die im Zuge der Säuberungen in Moskau erschossen wurden. Alle erforderlichen Genehmigungen dazu hatte MEMORIAL bereits erhalten. Ein lakonisches Schreiben vom 18. Oktober, das am 19. Oktober einging, erklärt eine am 15. Oktober erteilte Verwaltungsnweisung, die Aktion zu unterstützen, aufgrund „neu eingetretener Umstände“ für ungültig und untersagt die Aktion an diesem Standort.

Es folgt die Erklärung von MEMORIAL International aus diesem Anlass.

Moskauer Behörden vereiteln die traditionelle Aktion „Rückkehr der Namen“

In den letzten elf Jahren wurde jährlich an der Lubjanka am 29. Oktober, dem Vortag des „Tages der Opfer politischer Verfolgungen“, die Gedenkaktion „Rückgabe der Namen“ durchgeführt. Den ganzen Tag, zwölf Stunden lang, konnten Intessierte die Namen von Menschen verlesen, die in Moskau erschossen worden sind.

Diese Aktion sollte auch in diesem Jahr stattfinden. In den Verhandlungen mit den Moskauer Behörden war seit dem Frühjahr immer wieder zugesagt worden, dass die Bauarbeiten der Aktion nicht im Wege stehen würden.

Memorial hatte bereits alle erforderlichen Genehmigungen von den Sicherheits- und Verwaltungsbehörden sowie dem Innenministerium erhalten. Heute allerdings, am 19. Oktober 2018, also zehn Tage vor der geplanten Aktion, wurde die Genehmigung vom Moskauer Bürgermeisteramt widerrufen.

Das ist empörend, und das nicht nur, weil damit die mehrmaligen ausdrücklichen Zusagen der Moskauer Behörden nicht eingehalten wurden. Die Beamten haben es nicht einmal für nötig befunden, sich in irgendeiner Form zu entschuldigen, weder bei den Organisatoren noch bei den Tausenden von Menschen, die an dieser Aktion teilnehmen und sie unterstützen.

Der Solowezki-Stein ist landesweit das älteste Denkmal für die Opfer des totalitären Regimes. Er wurde am 30. Oktober 1990 auf dem Lubjanka-Platz aufgestellt. Zivilgesellschaft, öffentliche Organisationen sowie städtische und staatliche Behörden hatten hier zusammengewirkt. Der Lubjanka-Platz wird per se mit der Erinnerung an den staatlichen Terror assoziiert. Die Aktion „Rückgabe der Namen“ hängt unlösbar mit dem Solowezki-Stein zusammen.

Deshalb ist das Ansinnen, die „Rückgabe der Namen“ an die „Mauer der Trauer“ am Sacharov-Prospekt zu verlegen, für uns nicht akzeptabel, ebensowenig wie man das Niederlegen von Blumen am Grab des Unbekannten Soldaten am Alexander-Garten durch irgendein anderes Ritual ersetzen könnte.

Die „Rückgabe der Namen“ ist schon lange keine Aktion mehr, die nur mit Memorial zu tun hat. Sie ist zu einem wichtigen Ereignis der ganzen Stadt geworden. Nach Eingang der Genehmigungen wurde die diesjährige Aktion schon breit bekannt gemacht. Außerdem wissen viele Menschen verschiedener Altersgruppen ohnedies, dass man am 29. Oktober zum Lubjanka-Patz kommen, eine Kerze erhalten und Namen ermordeter Moskauer und die eigener verfolgter Angehörige verlesen kann. Viele werden sich in jedem Fall zur Lubjanka begeben, da sie nichts davon wissen, dass das Bürgermeisteramt sein Versprechen gebrochen hat.

Die gesamte Verantwortung für die Vereitelung der Aktion tragen die Moskauer Stadtbehörden.

Der Vorstand von Memorial International

19. Oktober 2018

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von MEMORIAL Deutschland e.V.

Konferenz: „Zwischen Ankunft und Abschiebung. Tschetschenische Geflüchtete in Europa“

MEMORIAL Deutschland e.V., Bürgerhilfe (Moskau) und Women for development (Grozny) in Kooperation mit dem Norwegian Helsinki Committee (Oslo) laden ein zur Konferenz:

„Zwischen Ankunft und Abschiebung. Tschetschenische Geflüchtete in Europa“

Ort: Berlin-Wedding, Paul-Gerhardt-Stift, Müllerstr. 56-58, 13349 Berlin

Zeit: 08.11.2018, 08:30 bis 21:00 Uhr

Welche Gründe veranlassen Tschetschen*innen bis heute zur Flucht nach Europa? Wie reagieren europäische Asylbehörden darauf? Und wie reagiert die tschetschenische Diaspora auf die europäische Asyl- und Migrationspolitik?

Zu diesen Fragen geben Expert*innen aus Deutschland, Österreich, Norwegen, Türkei, Russland, Polen und Belgien Auskunft. Sie diskutieren über die aktuelle soziale und rechtliche Situation tschetschenischer Geflüchteter und stellen sich den Fragen des Publikums.

» Programm und Anmeldung

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60.000 Unterschriften für Gefangenenaustausch

Am 10. Oktober wurde dem Menschenrechtsrat beim Präsidenten eine Petition mit dem Aufruf übermittelt, einen Gefangenenaustausch von russischen und ukrainischen Gefangenen vorzunehmen. Im Laufe von vier Monaten wurden für diese Petition 60.000 Unterschriften gesammelt.

Autor der Petition ist Alexander Rekubratskij, zu den Unterzeichnern zählen auch Konstantin Kotov und Julia Samojlova, die die Einzelmahnwachen für die Freilassung Oleg Sentsovs und anderer ukrainischer Gefangener organisieren. Diese werden fortgesetzt, auch nachdem Sentsov seinen Hungerstreik beendet hat.

Die Petition wurde von dem Historiker und Journalisten Nikolaj Svanidse entgegengenommen, der dem Menschenrechtsrat angehört und der die Ziele der Petition ebenfalls unterstützt: „Das ist eine zutiefst humanistische Position – alle gegen alle auszutauschen. Wir werden alles tun, was von uns abhängt.“

Dass in vier Monaten ohne jegliche Unterstützung durch die Medien etwa 60.000 Unterschriften gesammelt werden konnten, ist für Konstantin Kotov ein Beleg dafür, „dass ein bedeutender Anteil an russischen Bürgern einen Gefangenenaustausch unterstützt. Wir waren der Auffassung, dass die russische Regierung wissen muss, dass wir, Bürger Russlands, einen Austausch wünschen. Wir möchten die russischen und ukrainischen Gefangenen in Freiheit sehen.“

11. Oktober 2018

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Ojub Titiev: Erklärung zur Verleihung des Václav-Havel-Preises

Für den derzeit in Groznyj inhaftierten Ojub Titiev nahm Alexander Tscherkassov in Straßburg den Václav-Havel-Preis entgegen. Er verlas dabei die Titievs nachstehend dokumentierte Erklärung:

Verehrte Damen und Herren,

erlauben Sie mir, mich für die Nominierung für den so hohen Preis zu bedanken, der den Namen Vaclav Havels trägt – eines Freiheitskämpfers, Schriftstellers und Philosophen. Mein kurzer Auftritt wird sich kaum an seinen Texten messen lassen können - allenfalls hinsichtlich der Absurdität der Situation: Ich selbst kann aus bekannten Gründen in diesem Saal nicht dabei sein. Aber ich hoffe, dass meine Freunde und Kollegen Ihnen meine Botschaft übermitteln.

Übrigens hat das bereits Tradition – drei der früheren Havel-Preisträger, die mir die Ehre und das Vertrauen erwiesen und mich für die Auszeichnung nominiert haben, konnten den Preis seinerzeit auch nicht persönlich entgegennehmen. Sie befanden sich ebenfalls im Gefängnis. Ist das nicht schon eine absurde Tradition? Havel lächelt uns traurig zu...

Tschetschenische Polizeibeamte haben mich im Januar dieses Jahres verhaftet. Man beschuldigte mich, Drogen aufzubewahren, die sie mir selbst untergeschoben hatten. Allerdings hat der tschetschenische Regierungschef Ramzan Kadyrov festgehalten, dass es für meine, für unsere Arbeit in der Tat keinen Platz gebe – man darf die Rechte derer, die die Machthaber bekämpfen, nicht verteidigen, und man darf keine Informationen nach außen weitergeben, sondern nur an die Behörden, und wer es doch tut, ist ein „Feind des Volkes“. Jetzt, vor Gericht, kommen Dutzende von Polizeibeamten dem Wunsch des Regimes nach und belasten mich, den „Feind des Volkes“, mit Falschaussagen. Sie versuchen, die falsche Anklage zu beweisen - die meisten tun dies offensichtlich widerwillig, einige dagegen ausgesprochen bereitwillig. Alle kommen durcheinander, widersprechen sich gegenseitig und sich selbst. Um dieses absurde Schauspiel könnte einen Havel selbst beneiden. Übrigens, auch Sie können bei dieser Show dabei sein – im Gericht der tschetschnischen Kleinstadt Schali, jeden Montag und Dienstag. Die Vorführung geht noch einige Wochen weiter. Der Saal ist klein, aber Sie sind eingeladen!

Von meinen persönlichen Umständen kann ich leicht zur Hauptsache überleiten – zur Arbeit der letzten 18 Jahre, zur Arbeit von Memorial und all jener, die sich nicht nur als „Menschenrechtler“ bezeichnen, sondern versuchen, etwas zu tun.

In meiner Heimat, in Tschetschenien, sind gesetzwidrige Verhaftungen und die Fabrizierung von Straftaten schon lange die Norm. Mein eigenes Verfahren ist ein Bespiel dafür, und glauben Sie mir, nicht das schlimmste: In der Regel geht eine solche fabrizierte Strafsache mit Drohungen und Foltern einher.

Mitunter sind dies Racheakte an Journalisten und Aktivisten – mein Verfahren wegen „Drogen“ ist in Tschetschenien nicht das erste. Aber generell ist die Fälschung von Straftatbeständen schon lange System. Die Haftbedingungen im russischen Strafvollzugssystem sind derart, dass auch Personen, die möglicherweise schuldig sind, sie nicht verdient haben. Wir haben, soweit möglich, darüber recherchiert und veröffentlicht sowie versucht, Folteropfern und Opfern von fabrizierten Strafverfahren zu helfen.

Aber es handelt sich hier um keine Eigeninitiative der tschetschenischen Polizei und Regierung, wenn sie auch sehr kreativ dabei sind.

Vor fünfzehn Jahren hat die russische Zentralregierung den tschetschenischen Behörden die Vollmacht erteilt, gesetzwidrige Gewalt anzuwenden, um im Krieg den Sieg davonzutragen.

Im Krieg, in dem seit Mitte der 1990er Jahre Zigtausende tschetschenische Einwohner ums Leben kamen und viele Tausend verschwunden sind. „Verschwunden“ – das bedeutet, sie fielen den „Todesschwadronen“ der Regierung zum Opfer, sie wurden gesetzwidrig verhaftet, in Geheimgefängnisse gebracht, gefoltert, ermordet, und ihre Leichen wurden versteckt oder in Massengräbern verscharrt. Nach unseren Schätzungen waren das seit 1999 zwischen drei- bis fünftausend Menschen.

Mit Recherchen dazu war meine Kollegin Natalja Estemirova befasst, die auch mich zu Memorial gebracht hat. Am 15. Juli 2009 wurde sie selbst Opfer dieses Systems, sie wurde entführt und ermordet.

Aber die Arbeit – die Suche nach „Verschwundenen“, nach geheimen Grabstätten, der Einsatz für Gerechtigkeit und Rechtsprechung, für die Bestrafung der Verantwortlichen – geht weiter. Leider gelingt das in Russland nicht besonders gut. Auf tausend Fälle gewaltsamen Verschwindens fallen vier Verurteilungen. 99,9 % der Fälle bleiben ungeahndet. In Straßburg ist es etwas besser: über 250 „tschetschenische“ Fälle von Verschwundenen wurden untersucht. Aber das Europäische Gericht für Menschenrechte nennt die Schuldigen nicht, es verpflichtet nur den Staat, dies zu tun. Und nicht eine einzige dieser 250 Straßburger Ermittlungen hat zur Bestrafung der Schuldigen geführt.

Das Fehlen einer auf dem Gesetz basierenden Gerechtigkeit, der fehlende Respekt vor dem Gesetz – ob es sich nun um die Europäische Konvention, das russische Recht, die Scharia oder ungeschriebene Gesetze der Bergvölker, das Adat, handelt – ist eines unserer größten Probleme. Heute herrscht stattdessen das Recht der Gewalt, ausschlaggebend sind die Entscheidungen der Machthaber ohne jegliche gesetzliche Grundlage.

In Tschetschenien und in Russland besteht nicht nur ein System der Straflosigkeit - ich würde es als Kette der Straflosigkeit zu bezeichnen: Wer für Verbrechen in einem Krieg nicht bestraft wurde, nimmt an allen weiteren Kriegen teil und begeht immer neue Verbrechen. Und die in Tschetschenien festgenommenen Personen „verschwinden“. Im vorletzten Winter sind Dutzende Personen „verschwunden“. Wir sind sicher, dass sie insgeheim und ohne Gerichtsverfahren hingerichtet wurden. Die Behörden behaupten, sie hätten sich in den Krieg nach Syrien begeben.

Vaclav Havel hat geschrieben und war aktiv, nachdem sowjetische Panzer vor einem halben Jahrhundert der Prager Frühling unterdrückt haten. Meine kleine Heimat wurde zweimal von Panzerketten umgepflügt, um dort die derzeitigen Machthaber zu etablieren.

Ich weiß nicht, welche unserer Nachforschungen der Anlass für meine Verhaftung war. Jetzt ist unser Büro in Groznyj geschlossen. Das Memorial-Büro im benachbarten Inguschetien wurde anderthalb Wochen nach meiner Verhaftung in Brand gesteckt. Nach einigen Wochen wurde der Leiter unseres Dagestaner Büros brutal niedergeschlagen.

Aber eines weiß ich: Die Menschenrechtsarbeit in Tschetschenien und in Russland muss weitergehen. Und die internationale Solidarität kann dabei helfen.

Jetzt sehe ich im Gerichtssaal Dutzende meiner Kameraden und Kollegen, die von weither mit dem Flugzeug kommen, um mich zu unterstützen. Sie werden von derselben Devise geleitet – „für eure und unsere Freiheit“ – wie die sowjetischen Dissidenten, die vor einem halben Jahrhundert gegen den Truppeneinmarsch in die Tschechoslowakei protestiert hatten.

Und man muss etwas tun, etwas tun, um die Verschwundenen zu finden, damit jeder sein Grab bekommt, das seine Angehörigen aufsuchen können. Um zu erreichen, dass Personen, die an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt waren, bestraft, und dass Unschuldige befreit werden.

Und das letzte. Alles hat irgendwann ein Ende. Ich habe gelesen, dass es in der Tschechoslowakei, der Heimat von Vaclav Havel, eine Redewendung über die Regierung der Kommunisten gab: „Für ewige Zeiten. Aber nicht einen Tag länger!“ Ich hoffe, in diesem Saal noch persönlich erscheinen und Ihnen allen danken zu können.

8. Oktober 2018

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Parlamentarische Versammlung des Europarats verleiht Václav-Havel-Menschenrechtspreis an Ojub Titiev

Der diesjährige Václav-Havel-Menschenrechtspreis wird an Ojub Titiev, Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien, verliehen. Mit dem Preis werden alljährlich Einzelpersonen oder Institutionen ausgezeichnet, die für Zivilcourage und herausragende Leistungen im Bereich der Menschenrechte stehen.

Die Verleihung fand am 8. Oktober in Straßburg statt. In der Begründung der Jury heißt es: „Dieser Preis ist eine Anerkennung der Arbeit, die er [Titiev] und Memorial leisten. Es ist auch eine Botschaft an alle, die in der Region arbeiten, die Prinzipien der Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte zu bekräftigen. Halten Sie die gute Arbeit aufrecht, Sie können auf unsere Unterstützung zählen.“ Außenminister Maas bezeichnet in einer Pressemitteilung die historische Aufklärungsarbeit von Memorial und Titievs beharrlichen Einsatz für die Menschenrechte in Tschetschenien als beispielhaft und von unschätzbarem Wert.

Den Preis für Ojub Titiev, der weiterhin in Haft sitzt, nahm Alexander Tscherkassov, Vorstand von Memorial International und Leiter des Menschenrechtszentrums Memorial, entgegen. In einem zu diesem Anlass von Tscherkassov vorgetragenen Brief Titievs beklagt dieser, den Mangel an Gerechtigkeit, die auf dem Gesetz beruhe und den fehlenden Respekt vor dem Gesetz als eines der Hauptprobleme; stattdessen dominierten das Recht der Gewalt und die Entscheidungen von Herrschern, die nicht auf den Gesetzen beruhen, so Titiev. Und weiter: „Die Arbeit zum Schutz der Menschenrechte in Tschetschenien und in Russland muss weitergeführt werden. Und die internationale Solidarität kann dabei helfen.“

9. Oktober 2018

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Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial zu den Ereignissen in Inguschetien

Bereits seit dem 25. September kommt es in Inguschetien zu zahlreichen Protesten. Seit dem 4. Oktober findet im Zentrum der Stadt Magas eine unbefristete Protestaktion statt. Die Teilnehmer erklären die Unzulässigkeit der Ratifizierung eines Grenzabkommens durch das Parlament der Republik Inguschetien, welches von den Oberhäuptern beider Subjekte der Russischen Föderation, der Republik Inguschetien und der Republik Tschetschenien, unterzeichnet worden ist.

Ohne die Frage der Grenze und der Neuverteilung von Territorien zu berühren, weisen wir auf folgendes hin. Die Zuspitzung der Situation in Inguschetien wurde vor allem und in erster Linie provoziert durch das Schweigen der Behörden. Am Vorabend der Unterzeichnung des Grenzabkommens haben es die Behörden der Republiken bewusst vermieden, dieses wichtige Thema zum Gegenstand einer breiten öffentlichen Diskussion zu machen. Und nach der Unterzeichnung erhielt die Öffentlichkeit von den Behörden der Republiken keine klare und vollständige Information zu allen Fragen, die mit der Grenzmarkierung in Zusammenhang stehen. Die Situation wurde verschärft durch die Mitteilung mehrerer Abgeordneter über eine Fälschung der Abstimmungsergebnisse zum Grenzabkommen im Parlament der Republik Inguschetien. Danach änderte sich der Charakter der Protestaktion: Zur Ablehnung der Demarkation der Verwaltungsgrenze kam der Kampf für die Einhaltung der Normen der Gesetzmäßigkeit hinzu, für die Einhaltung der Rechte und für die Achtung der Würde der Einwohner der Republik.

Wir fordern die Behörden aller Ebenen dazu auf, keinesfalls Gewalt gegen die Menschen anzuwenden, die ihre gesetzlichen Rechte schützen, Transparenz bei den Vorgehensweisen der Machthabenden fordern sowie die Bestrafung der Falsifikatoren.

Wir fordern die föderalen Behörden Russlands auf, sich bewusst zu werden, dass die Verantwortung für die weitere Entwicklung der Situation in der Republik nun vor allem bei ihnen liegt.

Es ist unabdingbar,

  • die Öffentlichkeit zu allen Fragen erschöpfend zu informieren, die mit der Demarkation der Verwaltungsgrenze in Zusammenhang stehen.
  • sofort eine Untersuchung zu der Meldung einer Fälschung [der Abstimmungsergebnisse zum Grenzabkommen] im Parlament der Republik Inguschetien einzuleiten.
  • die strikte Einhaltung der Gesetzgebung der Russischen Föderation sowie der Republik Inguschetien bei Entscheidungen über die administrative Grenze zwischen den Republiken sicherzustellen.

Wir rufen die Protestierenden auf, Beharrlichkeit und Geduld zu zeigen, sich nicht auf Provokationen einzulassen und keinerlei Gewalt im Verlauf des Kampf um eine öffentliche und gesetzgemäße Entscheidung der Grenzfrage zuzulassen.

5. Oktober 2018

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Sentsov beendet Hungerstreik

Nach 145 Tagen bricht Sentsov Hungerstreik ab, um drohender Zwangsernährung zu entgehen

Wegen seines inzwischen kritischen Gesundheitszustandes und der drohenden Zwangsernähung sieht sich Oleg Sentsov gezwungen, seinen Hungerstreik am 6. Oktober abzubrechen.

Dies schreibt er in einer Erklärung, die er am 5. Oktober seinem Anwalt Dmitrij Dinse bei seinem Besuch übergeben hat. Die nachstehende Erklärung ist auf den 5. Oktober datiert.

„Auf Grund meines kritischen Gesundheitszustands sowie beginnender pathologischer Veränderungen in den inneren Organen will man in Kürze bei mir eine Zwangsernährung einleiten. Meine Meinung wird dabei nicht mehr berücksichtigt, als wäre ich nicht in der Lage, meinen Gesundheitszustand und die Gefahr für meine Gesundheit angemessen zu beurteilen.
Die Zwangsernährung soll als Maßnahme durchgeführt werden, um das Leben des Patienten zu retten.

Unter diesen Umständen bin ich gezwungen, meinen Hungerstreik zum morgigen Datum, d. h. ab dem 6.10., zu beenden.

145 Tage Kampf, ein Gewichtsverlust von 20 kg, ein ruinierter Organismus, und das Ziel wurde doch nicht erreicht. Ich danke allen, die mich unterstützt haben und bitte die um Verzeihung, die ich im Stich gelassen habe.

Ruhm der Ukraine!“

Dmitrij Dinse berichtet, die Mitarbeiter der Straforgane hätten Sentsov gedroht, wenn er den Hungerstreik nicht bis zum Wochenende (am 6./7. Oktober) beende, werde man „Gemüse“ aus ihm machen, ihn ans Bett fesseln und mit einem Schlauch zwangsernähren.

Russische Quellen hatten schon am Morgen des 5. Oktober gemeldet – noch bevor Informationen von dem Anwalt hatten kommen können, der sich zu diesem Zeitpunkt gerade bei Sentsov befand und keinen Telefonkontakt hatte, - Sentsov wolle seinen Hungerstreik beenden oder habe dies nach einer anderen Version bereits vor einer Woche getan.

5. Oktober 2018

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Infame Rufmordkampagne in Karelien

Direktor des Museums von Medvezhegorsk festgenommen

Sergej Koltyrin, seit 1991 Direktor des Regionalmuseums von Medvezhegorsk, ist am heutigen 2. Oktober in Petrozavodsk festgenommen worden, mit ihm noch eine weitere Person, deren Name zunächst nicht bekannt wurde. Möglicherweise handelt es sich um seinen Bekannten Jevgenij Nosov aus Severodvinsk.

Beiden wird „Pädophilie“ unterstellt (Art. 135, Abs. 4 StGB der Russischen Föderation).

Die Gedenkstätte Sandarmoch gehört zum Bereich des genannten Museums, das denn auch maßgeblich an den jährlichen Gedenkveranstaltungen am 5. August in Sandarmoch mitgewirkt hat. Der jüngst propagierten Auffassung, in Sandarmoch könnten sowjetische, von Finnen ermordete Kriegsgefangene verscharrt sein (die als Anlass zu den kürzlcih vorgenommen, umstrittenen Ausgrabungen gedient hatte), stand er skeptisch gegenüber. Allerdings hielt er sich mit diesbezüglichen Äußerungen in letzter Zeit zurück – unter Hinweis auf massive Drohungen seitens der Machtorgane.

Mit der beabsichtigten Anklage wegen angeblicher Pädophilie setzen die Ermittlungsbehörden die Methode der Diffamierung und Kriminalisierung fort, die sie schon gegen Jurij Dmitriev, den maßgeblichen Entdecker und Erforscher von Sandarmoch und Leiter von Memorial Karelien, angewandt hatten – offenbar sehen sie darin ein probates Mittel, um Historiker, die die Geschichte der Hinrichtungsstätte Sandarmoch aufarbeiten, definitiv auszuschalten.

2. Oktober 2018

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von MEMORIAL Deutschland e.V.

Memorial erklärt Mitglieder der Gruppe Novoe Velitschie zu politischen Gefangenen

Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial

Zehn oppositionell eingestellte Einwohner der Stadt Moskau und der Moskauer Region werden beschuldigt, im Dezember 2017 die extremistische Organisation Novoe Velitschie (Neue Größe) gegründet zu haben, angeblich mit dem Ziel eines gewaltsamen Sturzes der Regierung sowie der konstitutionellen Regierungsform der Russischen Föderation (Art. 282.1 StGB RF).

Wir haben die Unterlagen des Verfahrens gründlich geprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Organisation Novoe Velitschie im Wesentlichen von den Sicherheitsdiensten gegründet worden ist, die sich bemühten, der Gruppe extremistische Züge zuzuschreiben.

Einer der Gründer und Führer von Novoe Velitschie ist offensichtlicher Agent der Sicherheitsorgane (wahrscheinlich des FSB) und den Mitgliedern der Gruppierung als Ruslan D. bekannt. Bei seiner Befragung als Zeuge wurde er im Protokoll als Aleksandr Konstantinov eingetragen (weitere Personalien werden geheim gehalten). Er war Führungsmitglied, Sekretär der Organisation und Leiter des finanziellen Bereichs. Mit Hilfe von Ruslan D. verfassten die Geheimdienste selbst Satzung und Programm von Novoe Velitschie, und zwar so, dass es den Merkmalen einer extremistischen Vereinigung entsprach, und mieteten für die Gruppierung ein Büro mit „Wanzen“ an.

Als die minderjährige Anna Pavlikova die Gruppe wegen eines Streits verließ, überredete der Agent sie zurückzukommen. Nach einem Monat wurde sie verhaftet und verbrachte ein halbes Jahr in Untersuchungshaft, wobei ihre Gesundheit ernsthaften Schaden nahm.

Neben Ruslan D. wurden zwei weitere Mitarbeiter der Polizei in Novoe Velitschie eingeschleust sowie offenbar ein oder zwei weitere Informanten. Aber ungeachtet der Anstrengungen der Provokateure finden sich in Satzung, politischem Programm und Flugblättern keine konkreten Worte und Leitsätze darüber, dass die Mitglieder auf gewaltsamem Weg den Sturz der Regierung beabsichtigen oder die konstitutionelle Regierungsform Russlands verändern wollen. In den auf der Website der Gruppierung veröffentlichten Texten sehen wir keine direkten Aufrufe zur Gewalt.

Das sogenannte Verfahren Novoe Velitschie ist ein Symbol der Brutalität und Ungerechtigkeit des Kampfes gegen Extremismus im heutigen Russland, erklärt Sergej Davidis, Leiter des Programms zur Unterstützung politischer Gefangener im Menschenrechtszentrum Memorial. Eine Gruppe oppositionell eingestellter junger Menschen ist zum Opfer von Provokationen der Machthaber geworden. Sie haben keine gewalttätigen Handlungen verübt, keine Terroranschläge und Überfälle geplant.

Sie werden Gesprächen und nicht das Gesetz verletzender Handlungen beschuldigt, die nur deswegen für verbrecherisch erklärt werden, weil sie angeblich im Rahmen einer extremistischen Organisation stattfanden, die von eingeschleusten Mitarbeitern der Geheimdienste gegründet wurde.

Die Angeklagten erkennen ihre Schuld nicht an. Die Teilnahme in der Gruppierung Novoe Velitschie leugnen sie nicht, betonen aber die Legalität ihrer Tätigkeit und dass sie nicht vorhatten, Regierung und Verfassung mit gewaltsamen Mitteln zu stürzen.

Die Gruppierung aus 13 Personen bestand zu fast einem Drittel aus Vertretern verschiedener Sicherheitsorgane, die offenbar in Konkurrenz zueinander standen, die Organisation gründeten und unterstützten und deren Ziel nicht der ‚mythische Sturz‘ der verfassungsgemäßen Ordnung war, sondern das Hervorrufen eines Strafverfahrens.

Die Einhaltung des Gesetzes im Verfahren Novoe Velitschie bedeutet die Einstellung des Verfahrens und wir stellen fest, dass dies eine Frage des politischen Willens ist. Das Scheitern der Provokation von Ruslan D. ist offensichtlich, und die Geheimdienste selbst sind daran interessiert, solche Praktiken in ihren Reihen zu stoppen, heißt es in einer von der Novaja Gazeta vorbereiteten Petition an die russische Führung, die auf dem Portal von Change.org unterzeichnet werden kann.

Wir sind der Meinung, dass die beschriebenen Aktionen der Sicherheitskräfte eine Provokation der Polizei darstellen, die nach Art. 5 des Gesetzes „Über operative Untersuchungen“, verboten ist: „Den Ermittlungen durchführenden Behörden ist es verboten, zu widerrechtlichen Handlungen anzustiften, zu überreden oder direkt oder indirekt dazu anzuregen.“

Memorial betrachtet Anna Pavlikova, Marija Dubovik, Ruslan Kostylenkov, Maksim Roschtschin, Petr Karamsin, Pavel Rebrovskij, Dmitrij Poletaev, Sergej Gavrilov, Vjatscheslav Krjukov und Raschid Rustamov als politische Gefangene und fordert ihre sofortige Freilassung und die Bestrafung der für ihre Strafverfolgung Verantwortlichen.

Die Anerkennung von Personen als politische Gefangene durch Memorial bedeutet keine Übereinstimmung oder Billigung mit deren Ansichten, Äußerungen und Handlungen.

23. September 2018

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von MEMORIAL Deutschland e.V.

Solidarität mit Oleg Sentsov und Volodymyr Baluch

Die Situation der hungerstreikenden ukrainischen Häftlinge in Russland wird immer prekärer insbesondere von Volodymyr Baluch und Oleh Sentsov, die sich bereits seit weit über 130 Tagen im Hungerstreik befinden.

Die internationale Solidarität hält unvermindert an. In Deutschland findet (fast) jeden Donnerstag eine Mahnwache vor der russischen Botschaft statt, initiiert von Ronald Wendling.

In Paris werden 24stündige Hungerstreiks vor der russischen Botschaft abgehalten, die Teilnehmer lösen sich ab.

Darüber hinaus ist Oleg Sentsov einstimmig zum Ehrenbürger der Stadt Paris gewählt worden.

Solidaritätskundgebungen gibt es auch in Russland. In Moskau werden seit etwa drei Wochen täglich Einzelmahnwachen organisiert, vor der Präsidentenadminsitration, außerdem am Gribojedov- und Okudzhava-Denkmal, die Teilnehmer sprechen die Termine per Facebook ab.

Kundgebungen finden in noch weiteren Städten statt, vor allem in Petersburg auf dem Nevskij-Prospekt, Petrozavodsk u. a. In Moskau und Petersburg kommt es immer wieder zu Festnahmen und Attacken.

26. September 2018

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von MEMORIAL Deutschland e.V.

Titiev-Prozess: Es gibt keine Hoffnung auf Gerechtigkeit

Erklärung der Internationalen Gesellschaft Memorial

Am heutigen 20. September 2018 hat die Richterin des Stadtgerichts Schali Marina Sajnetdinova dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben und die Öffentlichkeit sowie Presservertreter vom Prozess gegen Ojub Titiev ausgeschlossen. Dies erfolgte unter dem Vorwand, dass man die Sicherheit der Mitarbeiter der Sicherheitsorgane, die als Zeugen der Anklage im Prozess aussagen, nicht gefährden dürfe.

Der Vorwand ist absurd: Die Staatsanwaltschaft fürchtet plötzlich um die Sicherheit der Polizisten, nachdem an elf öffentlichen Verhandlungstagen bereits 57 Zeugen von 65, die die Anklage vorgeladen hat, vernommen worden sind. Fast alle Zeugen sind Mitarbeiter der Polizei. Es sind nur noch wenige Polizisten zu befragen, und zwar gerade die, die aktiv daran beteiligt waren, das Verfahren gegen Titiev zu fabrizieren.

Offenbar haben diese Personen erkannt, dass die „Argumente“ der Anklage vor Gericht keinen Bestand haben können und dass ein öffentliches Gerichtsverfahren alle Lügen und Ungereimtheiten in den Aussagen der von der Anklage beigebrachten Zeugen ans Licht bringen wird. Jetzt werden sie nicht einmal mehr den Anschein einer Gesetzlichkeit im Titiev-Prozess zu erwecken suchen, und das Gericht ist ihnen dabei zu Hilfe gekommen.

Im Zusammenhang mit unserer Forderung, die gerichtliche Zuständigkeit bei den Ermittlungen und im Prozess zu ändern, haben wir immer wieder festgehalten, dass es in „Kadyrovs“ Tschetschenien keine Hoffnung auf ein gerechtes und unvoreingenommenes Verfahren gegen jemanden geben kann, den Kadyrov bereits zum Verbrecher und „Volksfeind“ erklärt hat. Die heutige Gerichtsentscheidung bestätigt unsere Befürchtungen.

Der Vorstand der Internationalen Gesellschaft Memorial

20. September 2018

Nachtrag: Inzwischen wird die Öffentlichkeit doch wieder zu den Gerichtsverhandlungen zugelassen.

Oktober 2018

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von MEMORIAL Deutschland e.V.

Mahnwache für Ojub Titiev - Oleg Orlov zu einer Geldstrafe von 10 000 Rubel verurteilt

Am 13.09.2018 fand vor dem Tverskoj-Bezirksgericht in Moskau die Verhandlung gegen Oleg Orlov, Leiter des Programms Gorjatschije Totschki im Menschenrechtszentrum Memorial, statt. Bei der Verhandlung waren Angehörige der Schwedischen und Australischen Botschaft sowie ein Mitglied einer EU-Delegation in Moskau anwesend. Oleg Orlov hatte sich gemeinsam mit Svetlana Gannuschkina, Leiterin der Flüchtlingshilfsorganisation Grashdanskoe Sodejstvie, am 9. Juli, dem Tag des Verhandlungsbeginns gegen Titiev, auf dem Manegenplatz in Moskau zu einer Kundgebung für Titiev postiert. Orlov und Gannuschkina hatten Plakate mit der Aufschrift „Freiheit für Ojub Titiev“ in die Höhe gehalten. Die Aktion war nicht mit den Behörden abgestimmt. Orlov, dem ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht (§ 20.2. Ordnungsstrafrecht der RF, Verstoß gegen die Bestimmungen zu Organisation oder Durchführung einer Versammlung, Kundgebung, Demonstration, eines Marsches oder einer Einzelmahnwache) vorgeworfen wird, äußerte sich bei der Verhandlung folgendermaßen:

„Der in Tschetschenien gegen unseren Freund Ojub Titiev begonnene Prozess ist aus unserer Sicht ein sowohl für die russische als auch für die internationale Gesellschaft sehr wichtiges Ereignis. Die Anklage gegen Titiev ist vollständig fabriziert, er ist ein politischer Gefangener. Darauf muss die Gesellschaft reagieren. Aus diesem Grund hielten wir es für dringend geboten, diese Aktion genau am 9. Juli genau im Zentrum Moskaus durchzuführen, um diese wichtige Information den Bürgern unseres Landes, den nach Moskau gereisten Gästen und den Massenmedien zur Verfügung zu stellen. Zugleich beschränkte der Präsidentenerlass Nr. 202 vom 9. Mai 2017 die Durchführung von Straßenaktionen in Moskau und anderen Städten, in denen Veranstaltungen im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft stattfanden, und ließ faktisch keine Hoffnung auf die Möglichkeit, eine mit den Behörden abgestimmte Aktion zur Unterstützung von Ojub Titiev am 9. Juli im Zentrum von Moskau abzuhalten. Aus unserer Sicht widerspricht dieser Ukas den Normen der Verfassung der Russischen Föderation. Im Zusammenhang damit hielten ich und Svetlana Gannuschkina es für richtig, unser Recht auf Freiheit der Rede und der Versammlung zu nutzen, die durch Artikel 29 und 31 der Verfassung der Russischen Föderation sowie durch Artikel 10 und 11 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantiert sind. Unsere friedliche Mahnwache bedrohte weder die Interessen der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung noch die Gesundheit und Sittlichkeit Anderer. Ich sehe und sah keine Grundlage für unsere Festnahme.“

Mehrere Anträge der Verteidigung, wie beispielsweise die Übermittlung einer Anfrage an das Verfassungsgericht der Russischen Föderation zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Punkt 11 des oben erwähnten Präsidentenerlasses Nr. 202 vom 9. Mai 2017, wurde vom Gericht abgelehnt.

Oleg Orlov wurde zu einer Geldstrafe von 10 000 Rubel (umgerechnet etwa 127,- Euro) verurteilt, die Verteidigung wird gegen das Urteil Berufung einlegen. Die Verhandlung gegen Svetlana Gannuschkina ist für den 1. Oktober angesetzt.

18. September 2018

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von MEMORIAL Deutschland e.V.

Vorbereitungsseminar des Projekts „Vergangener Konflikte gedenken, die Zukunft denken – Geschichte gemeinsam schreiben“ in Berlin

Am ersten Septemberwochenende trafen sich die TeilnehmerInnen aus Deutschland des Projekts „Vergangener Konflikte gedenken, die Zukunft denken – Geschichte gemeinsam schreiben“ in Berlin, um sich auf die Sommerschule in Georgien vorzubereiten. Wir beschäftigten uns mit wissenschaftlichen Theorien der Erinnerung und wagten mit Prof. Rainer Goldt einen Blick in die deutsche Geschichte – wie betrachten und bewerten wir historische Ereignisse? Wer erinnert sich wie an welche Geschehnisse? Wir besuchten die Gedenkstätte Hohenschönhausen und wurden von einem ehemaligen Gefangenen durch das frühere Gefängnis geführt, der uns seine Geschichte auf persönliche Weise erzählte.

Dann reisten wir gedanklich in den Ural nach Perm. Anke Giesen, Vorstandsmitglied von Memorial Deutschland, berichtete über die Geschichte und die derzeitige Situation des ehemaligen Lagers Perm36. In Sergei Loznitsas Film „Blokada“ beschäftigten wir uns mit einem Ereignis, das in Russland eine der traumatischsten Tragödien des Zweiten Weltkriegs darstellt, in deutschen Schulen häufig jedoch vergeblich auf dem Lehrplan gesucht wird. Am letzten Tag bereiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Präsentation vor, in der sie zwei Ereignisse - die Machtübernahme Hitlers 1933 und den Kniefall Willy Brandts 1970 - analysieren und die Sichtweisen, die in Deutschland darüber vorherrsch(t)en, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Belarus, Russland und der Ukraine darlegen.

Wir freuen uns sehr auf den zweiten Teil des Projekts: die gemeinsame Sommerschule in Georgien mit unseren Partnern aus der Ukraine, Russland und Belarus.

Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt gefördert.

#CivilSocietyCooperation

16. September 2018

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von MEMORIAL Deutschland e.V.

„Ich wollte unbedingt, dass es meine Heimat ist!“

Neue Veröffentlichung von MEMORIAL Deutschland analysiert Identitäten von Kindern deportierter Russlanddeutscher in Deutschland

Der Kollaboration mit Hitlerdeutschland bezichtigt wurden die Nachkommen der seit dem 18. Jahrhundert in Russland siedelnden Deutschen auf Anweisung Stalins nach Sibirien und Mittelasien deportiert. Die überlebten, bauten sich in Nachbarschaft zu anderen deportierten Minderheiten und angestammter Bevölkerung eine neue Existenz auf. Ihre Kinder wurden in der Verbannung heimisch, wuchsen jedoch in einer Gesellschaft auf, die ihnen die Schuld an den Opfern des so genannten Großen Vaterländischen Krieges übertrug, ihnen die Zugehörigkeit zur Familie des sowjetischen Vielvölkerstaats latent absprach und sie in vielen Lebensbereichen gegenüber der übrigen Bevölkerung benachteiligte.

Wie reagierte die nachgeborene Generation auf diese Umstände? Wo sah sie sich beheimatet? Wie setzte sie sich mit ihrer Identität als Deutsche in der Sowjetunion, in deren Nachfolgestaaten und nach der Repatriierung in Deutschland auseinander?

Diesen Fragen geht eine neue Forschungsarbeit von MEMORIAL Deutschland nach, die die Folgen der Deportation auf die nachfolgende Generation untersucht hat. Die Soziologin Dr. Marit Cremer erhob dafür biographisch-narrative Interviews mit in Deutschland lebenden Russlanddeutschen und analysierte sie wissenschaftlich.

Die Ergebnisse der Forschungsarbeit liegen nun als Broschüre vor, die über info@memorial.de gegen eine Schutzgebühr in Höhe von 5 EUR bestellt werden kann. Sie stehen außerdem als pdf zum Herunterladen kostenlos zur Verfügung: https://www.memorial.de/joomla/images/Broschuere_Russlanddeutsche.pdf

Das Projekt wurde vom Auswärtigen Amt Deutschland im Rahmen des Programms Östliche Partnerschaft und Russland gefördert.

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von MEMORIAL Deutschland e.V.

Proteste gegen die Rentenreform am 9. September 2018

Über tausend Verhaftungen in ganz Russland

Am 9. September 2018 kam es in ganz Russland zu zahlreichen Demonstrationen gegen die Anhebung des Rentenalters. Alexej Navalny hatte anlässlich der Gouverneurswahlen im Land sowie der Bürgermeisterwahlen in Moskau am 9. September zu Protestaktionen aufgerufen – er selbst wurde am 27. August in Gewahrsam genommen und zu einer 30-tägigen Gefängnisstrafe verurteilt. Bereits einige Tage vor dem 9. September hatte es in 18 Städten 48 Verhaftungen in Zusammenhang mit den geplanten Aktionen gegeben. Die Demonstrationen waren lediglich in 12 Städten genehmigt worden, 59 Städte hatten ihre Genehmigung verweigert. In St. Petersburg, wo die Polizei mit großer Brutalität vorging, kam es bis zum Abend des 9. September zu 603 Festnahmen, darunter Minderjährige, Kinder, Rentner und Journalisten. In Ekaterinenburg wurden mehr als 183 Personen verhaftet, in Krasnodar 60, in Omsk und Moskau jeweils 43. Zu den ersten Verhandlungen kam es ebenfalls bereits am 9. September: Die im Vorfeld Verhafteten erhielten Haftstrafen zwischen einem und dreißig Tagen oder Geldstrafen wegen wiederholten Verstoßes gegen das Versammlungsrecht bzw. der Organisation nicht-genehmigter Veranstaltungen.

Einige dutzend Festgenommene verbrachten die Nacht auf der Polizeistation. Allen Festgenommenen drohen Geldstrafen oder bis zu 30 Tagen Haft.

Eine Liste der Festgenommenen finden Sie bei Ovdinfo.

12. September 2018

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von MEMORIAL Deutschland e.V.

Perm-36 - Geschichte und Gegenwart

Hinweis

Zur Geschichte und Gegenwart von Perm-36 finden Sie bei Dekoder hier den neuesten Artikel von Anke Giesen

7. September 2018

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